Routenverlauf der Reise

Samstag, 26. Mai 2018

Robinsonade

Diesmal waren wir früher am Pier und der Bootsmann hatte noch keinen Feierabend. Also brauchten wir nicht zu winken. Die Typen aus dem Dorf kontaktierten ihn per Handy und prompt kam er. Beim Inselbesitzer ließen wir unser Auto vor dem Haus stehen und stiegen in das kleine Boot. Wir schipperten über kristallklares türkises Wasser voller Schildkröten, die der Kapitän geduldig aufspürte und zeigte. Wir erreichten die klitzekleine Insel, die tatsächlich nur aus einem wunderschönen Strand, einem dschungelbewachsenen Berg und 15 kleinen Fales direkt am Wasser bestand. Das sollte unsere erste Nacht in einem traditionellen samoanischen Fale werden. Emmalie musste etwas überredet werden, da ihre Ansprüche sich stetig steigerten und sie hin und wieder auch mal nach Badewanne und Kühlschrank verlangte. Es wurde also Zeit, sie wieder etwas zu entwöhnen und ihr wieder den Boden der Tatsachen näher zu bringen. Hier waren wir für dieses pädagogische Großprojekt goldrichtig.
Die einzigen Gäste, ein Pärchen und zwei junge Damen, verabschiedeten sich gegen Mittag von der Insel. Die beiden hatten wir zwei Tage zuvor schon am Strand von Lalomanu kennen gelernt und schlugen ihnen vor, sie zum Pier mitzunehmen. Sie wollten dann allerdings schon einen Tag früher auf die Insel und so trafen wir uns kurzzeitig hier wieder. Der kurze Augenblick genügte, um festzustellen, dass sich die beiden hoffnungslos zerstritten hatten und gerade nicht mehr miteinander sprachen. Keine schöne Vorstellung auf so einer kleinen Insel mit so wenigen Gesprächsalternativen. Eine von ihnen berichtete uns von ihren Plänen, ohne die Freundin zu einem Ort an der Südküste Samoas unterwegs zu sein. Dort wollten wir in den nächsten Tagen auch noch hin. Diese ständigen Begegnungen mit den gleichen Reisenden war wirklich einzigartig auf Samoa. Das ganze Land fühlte sich an wie ein kleines familiäres Dorf voller bekannter Gesichter.
Als die vier Inselbewohner das Domizil verließen, hatten wir das Paradies für einige Stunde ganz für uns allein. Wir nutzten die Zeit zum Baden, Seesterne bestaunen, mit kaputter Maske schnorcheln und machten Bekanntschaft mit einer Landkrabbe von gigantischem Ausmaß, die scheinbar in und um den Essensbereich sesshaft war. Diese riesigen Viecher trafen wir danach auf Samoa immer wieder. Sie leben in selbst gebuddelten Erdhöhlen und wir erfuhren auf Nachfrage bei den Einheimischen, dass die Samoaner die Krabben in ihren Speiseplan integriert haben. Ziemlich eklige Vorstellung. Für Emmalie war die Krabbe eine nette Spielkameradin und wir waren erleichtert dadurch mal für einige Minuten nicht Elsa und Anna aus Frozen spielen zu müssen.
Am Abend kam dann doch noch eine Gruppe von vier Medizinstudentinnen aus aller Welt auf die Insel, die ihr Praxisjahr in dem einzigen Krankenhaus Samoas in Apia verbringen. Zunächst waren wir etwas enttäuscht doch nicht die ganze Robinsoninsel für uns alleine zu haben, aber als nach dem Abendessen die Köchin mit den zwei Angestellten auf dem einzigen Boot die Insel verließen, waren wir dann doch erleichtert, nicht ganz alleine zu sein. Das beklemmende Gefühl, alleine ohne Boot auf einer unbewohnten Insel mit Riesenkrabben fest zu sitzen, wurde uns durch die Anwesenheit von vier Ärztinnen doch gemildert. Abends saßen wir beim Kartenspiel zusammen, als plötzlich im Dunkeln zwei Gestalten mit Taschenlampen erschienen. Wir hatten ein ankommendes Boot weder gesehen noch gehört. Die Fremden reagierten nicht auf unsere Ansprachen und in uns machte sich etwas Sorge breit. Als einziger Mann in der Gruppe sah ich mich schon im Kampf mit großgewachsenen Hünen aus Samoa und keine Chance auf irgendeine Hilfe vom Festland.
Zum Glück waren es nur die schweigsamen wieder gekehrten Mitarbeiter der Insel ohne Englischkenntnisse, die sich für die Nacht in ihr Hüttchen verzogen. Ansonsten war die Nacht sehr ruhig, auch wenn Melli jedes Mal einige Probleme hat, so direkt über dem rauschenden Meer einzuschlafen. Luxussorgen!
Am nächsten Morgen lernten wir die Herrin der Insel kennen, die mit dem Bootsmann angeschippert kam. Sie hat die Faleanlage aufgebaut und ihre zwei Söhne größtenteils auf der Insel großgezogen. Sie erzählte uns von ihren Erlebnissen während des Tsunamis. Sie rettete durch ihre Umsichtigkeit eine ganze Schulkasse, die zu der Zeit auf der Insel nächtigten, indem sie die Gruppe gerade noch rechtzeitig auf den einzigen Berg der Insel trieb. Von oben musste sie dann mit ansehen, wie das Meer innerhalb von Sekunden sämtliche über Jahre errichteten Einrichtungen der Insel mit sich riss. Ihre Familie hatte im Gegensatz zu Anitas Familie keine Toten zu beklagen. Die Geschichte von Anita ist aber in ganz Samoa bekannt.
Sie berichtete uns weiter von der Möglichkeit, die Insel bei Ebbe zu Fuß zu umrunden. Ihre Söhne hätten das ständig gemacht und würden auf der anderen Seite zur Ruhe finden und manchmal auf dem offenen Meer Wale sichten. Gesagt getan nutzten wir die Ebbe und machten uns auf den Weg durchs Wasser zu waten. Schon bald wurde der sandige Boden steinig, das Wasser immer tiefer und ich musste Emmalie auf die Schultern nehmen. Auf dem unebenen Steinboden im hüfthohen Wasser war das gar nicht so einfach. Als wir uns der anderen dem offenen Meer zugewandten Seite der Insel näherten wurde das Wasser immer rauer und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis wir samt Emmalie auf der Schulter im Wasser liegen würden. Schweren Herzens entschieden wir uns für den Rückzug und drehten um.
Es fing an zu regen, aber das hielt uns nicht vom Baden im seichten warmen Wasser ab. Während einer kurzen Regenpause beschlossen wir die letztmögliche Aktivität der Insel anzugehen und versuchten den Berg zu erklimmen. Durch den Regen war der schmale Pfad sehr glitschig und rutschig und nach einigen Minuten entschied Melli mit Emmalie umzudrehen. Ich ließ es mir nicht nehmen alleine weiter zu klettern, um den Ausblick von oben zu genießen. Nach weiteren 20 schweißtreibenden Minuten war der Gipfel erreicht und er belohnte mich mit einem 360 Grad Blick über die traumhafte umliegende Inselwelt. Der Ausblick währte allerdings nicht lange, da sich schwarzdunkle Wolken näherten und schon bald begann es heftig zu gewittern und ein Platzregen verwandelte den Pfad in eine Rutschbahn. Auf allen Vieren kroch ich wieder zurück in die Zivilisation und eine kalte Dusche später saßen wir schon mit unseren Rucksäcken im Boot auf dem Weg zurück zu Samoas Hauptinsel Upolu. Das Auto stand noch wie am Tag zuvor, aber es fühlte sich an, als wären wir eine Ewigkeit in der Wildnis gewesen.
Wir konnten nicht anders und statteten Anitas Mutter zum Mittagessen noch einen Besuch ab, bevor es an der Südküste entlang weitergehen sollte in Richtung eines der touristischen Highlights Samoas. Anitas Mutter erwähnte einen weiteren Schicksalsschlag ihrer Familie und klärte uns über einen Erdrutsch auf, der auf ihrem Land vor einigen Wochen runter gekommen ist. Die Erdmassen blockierten die eigentliche Hauptreiseroute an der Südküste entlang und führten dazu, dass sich nicht mehr viele Touristen nach Lalomanu verirren. Samoas Menschen arbeiten gerade mit Nachdruck daran, die Straße freizuräumen, aber so einen massiven Erdrutsch haben wir in unserem Leben noch nicht gesehen. Es dauert also bestimmt noch einige Wochen, bis der Weg wieder frei wäre. Anitas Mutter hatte allerdings eine Umleitung parat und so gurkten wir mit 20 kmh durch das Hinterland Samoas unserem Ziel entgegen.


































Dienstag, 15. Mai 2018

Verkehrsknoten und Urknall

Feinster weißer Sand, der leicht bis zur Hüfte abfällt, türkises Wasser und unter unseren Füßen blieb es pudrig weich, bis man nicht mehr stehen konnte. Traumhafter kann ein Strand nicht sein. Wir waren völlig beeindruckt von dem wahnsinnigen Stückchen Erde von Lalomanu, das sich vor uns ausbreitete.
Dieser magische Ort war gesäumt von zwei Fale Anlagen, die aber zur Zeit unseres Aufenthalts kaum bis gar nicht belegt waren. Die Fales sind wie schon im letzten Blog erläutert eigentlich nur ein Dach mit Stelzen und einer Matratze mit Moskitonetz zum Schlafen. Dies ist die typische und günstigste Art auf Samoa zu nächtigen und meistens bekommt man so eine Unterkunft direkt am oder sogar über dem Wasser an den schönsten Stränden des Landes. Da es so gut wie keine Möglichkeiten gibt, auswärts zu essen, bieten diese Fales meistens Frühstück und Abendessen inklusive des Unterkunftspreises an. Hier variiert die Qualität natürlich von Ort zu Ort, aber wir hatten meistens Glück mit unseren Gastgebern.
Anitas Beach Bungalow schien uns farblich am sympathischsten, denn die Fales leuchteten in strahlendem Grün und Lila und waren so ein kontrastreicher Farbklecks vor dem weißen Sand. Die Besitzerin machte uns das Angebot, eins der zwei größeren Bungalows für den gleichen Preis wie ein Fale direkt neben den Fales zu bewohnen. Der Unterschied zu den Fales war allerdings lediglich, dass das Bungalow dünne Holzwände hatte und eine für uns so existentielle Steckdose. Nachdem wir in Apia in einer unserer schlechtesten Unterkünfte der bisherigen Reise unterkamen, stellte sich Anitas Bungalow als absoluter Glücksfall heraus. 
Wir waren die einzigen Gäste und kamen unweigerlich mit der Besitzerin, die sich als Mutter von Anita herausstellte, intensiv ins Gespräch und freundeten uns innerhalb der zwei Nächte fast miteinander an. Ihre unglaubliche und absolut zu Tränen rührende Geschichte findet ihr im passenden Blogeintrag vom 9.3.2018, den jeder lesen sollte! Nicht weil wir ihn geschrieben haben, sondern wegen der wohl traurigsten und bewegensten Geschichte der Welt. Ehrlich!
Jede Mahlzeit bestach durch Frische und einem unfassbaren Variantenreichtum. Wir bekamen fangfrischen Hummer, Fisch und zum Frühstück alles was man sich so wünschen konnte. Eigentlich wollten wir hier nur eine Nacht bleiben, da wir ja auf die vorgelagerte Insel übersetzen wollten, aber wir entschlossen uns dann doch noch eine Nacht zu verlängern. Wahrscheinlich wäre jeder andere Reisende mit weniger Hummeln im Hintern hier mit gutem Recht mindestens zwei Wochen hier gestrandet. Einen schöneren Ort kann man sich kaum vorstellen und dazu dann noch diese familiäre Atmosphäre ohne weitere Gäste war wirklich einzigartig.
Das einzige, was uns langsam Sorgen machte, war die Tatsache, dass wir auf unserer gestrigen Hinfahrt über die halbe samoanische Hauptinsel weder eine Tankstelle noch einen Geldautomaten finden konnten. Auch auf Nachfrage in unserer Unterkunft hieß es nur, dass es solche existenziellen Dinge nur in der Hauptstadt Apia geben würde. So blieb uns nichts anderes übrig, als den Nachmittag des folgenden Tages dafür zu verwenden, nach Apia zu fahren, um Einkäufe zu erledigen, Geld aus der Wand zu ziehen, das Auto vollzutanken und anschließend wieder nach Lalomanu zurück zu fahren. Wahrscheinlich wäre uns aber sowieso der blaue Himmel auf den Kopf gefallen, wenn wir einen weiteren kompletten Tag mit Muscheln sammeln, im lauwarmen Wasser dümpeln, den Strand auf und ab spazieren und Sandburgen bauen verbracht hätten.
Also ging es gegen Mittag wieder in Richtung Apia. Die Wege auf Samoa sind aufgrund der begrenzten Inselfläche nicht wirklich weit, aber das Autofahren ist ein absolutes Phänomen. Trotz unserer bisherigen Reise und der teilweise wirklich strapazierten Geduld, haben wir in Bezug auf Gelassenheit leider nicht wirklich viel dazu gelernt. Nie hat mich ein Verkehr so sehr auf die Palme gebracht wie auf Samoa. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass in der Heimat keine Palmen wachsen. 
Die Höchstgeschwindigkeit auf Samoa beträgt 40 Kilometer pro Stunde, unabhängig von den Straßenverhältnissen. Das ist nicht wirklich viel, aber auch nicht erschreckend wenig. Die Qualität der Straßen ist laut der Samoaner äußerst schlecht, aber wir hatten eigentlich nichts wirklich daran auszusetzen. Natürlich findet man hier und da mal ein Schlagloch, diese ließen sich aber immer entweder locker umfahren, was bei dem wenigen Verkehr auch nie ein Problem war, oder sie waren so winzig, dass man einfach über sie hinweg fuhr. Sämtliche Autos vor uns schlichen mit höchstens 20 km/h vor uns her und bei jedem Schlagloch blieben sie fast stehen und man meinte, die Insassen beratschlagen zu hören, wie sie nun dieses ernste Problem umschiffen könnten. Man hatte das Gefühl, es mit lauter Achtzigjährigen am Steuer zu tun zu haben, aber beim Überholen stellten wir erschreckt fest, dass die meisten Fahrer große kräftige volltätowierte Männer oder Frauen im besten Alter waren. Jeder hier fuhr wie traumatisiert von einem schweren Verkehrsunfall am vorigen Tag. Vielleicht liegt das auch an der bewegten Geschichte Samoas. Denn Samoa bietet neben dem Datumssprung (erklärt im letzten Blogeintrag) noch einen weiteren außergewöhnlichen Umstand in ihrer Entwicklung bis heute. 
Es ist das bisher einzige Land, welches seinen Straßenverkehr von einem Tag auf den anderen von rechts auf links geändert hat. Auch hier waren wieder wirtschaftliche Gründe die Ursache. Neue Autos können aus Australien oder Neuseeland günstiger importiert werden, welche allerdings ihr Steuer auf der rechten Seite haben. So wechselte man kurzerhand die Straßenseite. Leider kam das bei vielen Bewohnern der Insel schlecht an und so wurde die Umsetzung zunächst boykottiert und neue Straßenschilder übermalt, Pfeile auf die Straßen gestrichen und Dörfer verschworen sich, dass in ihrem Umkreis nach wie vor die alte Fahrtrichtung gelten sollte. Für die Samoaner hieß die Umstellung konkret nicht nur Umdenken im Straßenverkehr, sondern auch neue Autos kaufen, da die alten alle das Steuer auf der falschen Seite hatten. Ob dies mit dem versprochenen wirtschaftlichen Aufschwung gemeint war, ließ man offen. Für den öffentlichen Verkehr und die privat betriebenen bunten Busse war das Ganze noch ein größeres Desaster, denn von einem Tag auf den anderen ließ man die Gäste mitten auf der Straße aus dem Bus aussteigen, da die Türen plötzlich auf der falschen Seite waren. Unserer Erfahrung nach wäre dies eigentlich auch kein Problem gewesen bei dem langsamen und wenigen Verkehr, aber Samoa ist dann scheinbar, trotz der Hünenhaftigkeit seines Auftretens, doch ein sehr vorsichtiges und schreckhaftes Volk. 
So wurde die wiederholte kurvenreiche Fahrt nach Apia zur Geduldsprobe. Wir nutzten den Zwangsaufenthalt für die Verlängerung unseres Mietwagens und unsere beste Freundin in der Vermietung schenkte uns einen weiteren Tag. So hatten wir unser lieb gewonnenes Auto bis fast zum Schluss und beschlossen in ein paar Tagen die Nachbarinsel Savaii per Fähre damit zu erreichen und zu umfahren. Am Nachmittag schafften wir es zähneknirschend wieder mit vollem Tank und Portemonnaie zurück in unser Paradies nach Lalomanu, um noch ein bisschen den Strand zu genießen. 
Die Nacht war ziemlich unruhig, da uns eins der heftigsten Gewitter, das wir bisher auf der Reise erlebt haben, heimsuchte. Es war vergleichbar mit unserer Nahtoderfahrung in Vietnam an meinem Geburtstag auf dem Moped. Nun hatten wir zum Glück ein wackliges Holzhäuschen um uns herum, doch schon nach 15 Minuten Starkregen tropfte es hier und da rein und die lauten Donnerschläge ließen uns mehr und mehr zusammenkauern. Mein Handy war wie immer mit meiner Hand, dem Ladekabel und in der Steckdose verwachsen. Schlagartig wurde das Handy durch einem besonders hellen Blitzeinschlag aufgeladen. Ich warf es von mir und meine Hand bitzelte noch ein Weilchen nach. 
Am nächsten Morgen beim Frühstück erzählten uns die Einheimischen, sie hätten sich auch alle angstvoll zusammen gerottet und so ein Unwetter zuvor selten erlebt. Die Alten im Dorf prophezeiten durch das heftige Gewitter das Ende der Regenzeit. Genau so sollte es auch eintreffen. 
Anschließend verabschiedeten wir uns herzlich von unserer bisher gastfreundlichsten und familiärsten Unterkunft und Anitas Mutter schenkte Melli zum Abschied noch ein typisch samoanisches Wickeltuch.
Wir brachen nun erneut auf, einen zweiten Versuch zu starten auf Namuas Island Robinson zu spielen. Ich rechnete schon fest damit, wieder mit selbst gebauter Fahne am Pier zu winken.