Routenverlauf der Reise

Freitag, 9. März 2018

Story of Anita (Einschub aus Samoa)

Da uns gerade die Lebensgeschichte unserer Unterkunftsinhaberin auf Samoa so sehr berührt hat, dachten wir an einem kleinen Einschub mit einem Exkurs über das Leben einer Samoanerin. Uns kamen beide die Tränen, als sie uns ihre Geschichte erzählte. Vielleicht rührt es euch ja auch ein wenig.
Wir übernachteten die letzten zwei Nächte in einer wunderschönen Unterkunft direkt am paradiesischen Strand im Südosten von Samoa. Die Unterkunft nennt sich Anitas Bungalow. Auf meine Frage nach Anita begann die Inhaberin zu erzählen.
Leider haben wir den Namen der Dame vergessen, es war nicht Anita, daher nennen wir sie im Folgenden der Einfachheit halber Maria, auch weil es hier eh sehr christlich zugeht.
Maria war vor mehr als 40 Jahren der Liebe wegen aus Samoa nach Australien gezogen. Sie zog dort mit ihrem Ehemann in Sydney zwei Töchter groß, hatte eine gute Arbeitsstelle und schlug mehr und mehr Wurzeln in Australien. Die samoanische Lebensphilosophie und - einstellungen hatte sie längst hinter sich gelassen und sie fühlte sich wohl in ihrer neuen Heimat. Die beiden Kinder wurden groß und begannen ihr eigenes Leben zu führen.
Ab und an besuchte sie noch ihren Vater, der immer noch auf Samoa lebte, nicht weit von unserer Unterkunft entfernt. Marias Mutter war schon vor 20 Jahren verstorben. Um die Jahrtausendwende erreichte ein folgenschwerer Anruf des Vaters Maria und er bat sie inständig, sie auf Samoa zu besuchen, da er krank wäre und nicht wisse, wie lange er noch zu leben hat. Maria buchte einen Flug zu ihrem 80 jährigen Vater und besuchte ihn.  Dort offenbarte er ihr, dass es sein letzter Wille und Wunsch sei, dass sie bis zu seinem Tode bei ihm auf Samoa bliebe. Sie lehnte zunächst strikt ab und dachte an ihre Familie in Australien.

Zurück in Australien ließ der Gedanke ihr keine Ruhe und die Vorstellung, dass ihr Vater ohne die Erfüllung seines letzten Wunsch sterben würde, brach ihr das Herz. Die Familie ist in Samoa nach wie vor das höchste Gut.  Maria besprach ihre Gedanken mit ihrem Mann und ihren Töchtern und diese waren noch entsetzter, als Maria es zu Anfang war. Was solle sie auf Samoa, sie hätte hier eine Arbeit, eine Familie, Freunde und ein glückliches Leben. Gegen alle Widerstände ihres Umfelds folgte sie ihrem Herzen, kündigte ihre Arbeit und ließ ihr altes Leben hinter sich. Zunächst nur bis der Wunsch des Vaters erfüllt sei.
Auf Samoa dann fiel es ihr sehr schwer, sich hier wieder einzuleben, da die australische Mentalität eine andere ist, als die der Samoaner.
Nach einigen Wochen auf der Insel meldete der Vater einen weiteren Wunsch an. Er könne erst dann die Augen zufrieden schließen, wenn auf seinem kleinen Grundstück am Strand, wo wir bis heute geschlafen haben, ein kleines Unternehmen entstehen würde. Er hatte Angst, dass nach seinem Tod der Rest der erweiterten Familie das Grundstück an sich reißen würde. Sie als älteste Tochter, sollte da den Vorrang haben. Maria war abermals außer sich und fragt sie ihren Vater, ob das der Grund wäre, warum sie gekommen sei und was für ein Unternehmen er denn meine. Sie hätte keine Erfahrung in dem Business. Der Vater erwiderte, er wolle, dass am Strand ein Eisverkauf stattfindet, da sich hier alle einheimischen Familien nur betrinken und für die Kinder nichts geboten wird. Dies überzeugte Maria und hielt es für keine große Sache.
So eröffnete sie 2006 die erste Eisdiele der gesamten Küste. Der Vater war zufrieden und weinte vor Glück. Marias Ehemann und ihre Töchter erfuhren davon erst, als das Geschäft schon eine gewisse Größe hatte. Sie waren verständlicherweise wütend, weil das bedeutete, dass ihre Mutter für immer auf Samoa bleiben würde. Maria versicherte ihnen, dass es ihr ausdrücklicher Wille sei, wieder zurückzukommen, aber bis zum Tode ihres Vaters jeder ja erstmal sein eigenes Leben hätte. Beide Töchter studierten mittlerweile. 2009 bekam Maria gesundheitliche Probleme mit ihrer Nieren. Sie verschwieg die Ernsthaftigkeit ihrer Situation allerdings und sprach zu ihren Kindern von einer Grippe. Die jüngere Tochter Anita bemerkte die Veränderung in ihrer Stimme am Telefon und flog kurzerhand überraschend nach Samoa. Als sie vor Ort ihre Mutter und ihren schlechten gesundheitlichen Zustand sah, setzte sich Anita in einen Bus in die Hauptstadt Apia, kratzte ihr letztes Geld zusammen und buchte Maria einen Flug nach Australien, damit Sie Ihre Gesundheit checken lassen und ärztlichen Rat aufsuchen konnte. Nach längerer Diskussion ließ sich Maria dann von ihrer Tochter überzeugen und flog für zwei Wochen nach Sydney. Anita wartete in Samoa auf sie und kümmerte sich derweilen um ihren Opa und das Eisgeschäft.
Maria ging es zunehmend besser, als es plötzlich itten in der Nacht in Sydney heftig an ihre Schlafzimmertür klopfte. Ihre ältere Tochter zerrte sie vor den Fernseher und dort liefen die Breaking News aus Samoa. Am 29. September 2009 überrollte ein folgenschwerer Tsunami die gesamte Ost-und Westküste Samoas und aus den Bildern im Fernsehen wurde Maria schnell klar, dass ihr Heimatdorf nicht mehr stand. Telefonisch war niemand zu erreichen. Marias Bruder, der in Neuseeland lebte, war der erste, dem es gelang relativ kurz nach der Katastrophe zum Ort der Verwüstung zu gelangen und er bat Maria telefonisch nur darum, stark zu sein. Anita, ihr Vater sowie zwölf weitere Familienmitglieder wurden vermisst.
Maria flog mit dem nächsten Flieger nach Samoa. Sie machte sich ein eigenes Bild von der Lage vor Ort und erkannte, dass von ihrem Dorf nichts übrig geblieben war. Es begann eine schreckliche Zeit des Wartens und Bangens. Ihre vermissten Familienmitglieder waren für immer vom Meer verschluckt. Insgesamt tötete der Tsunami 190 Menschen und hinterließ Tausende obdachlos.
Marias Ehemann in Australien machte ihr schlimme Vorwürfe, dass Anita nur aus Sorge um ihre Gesundheit nach Samoa gekommen sei und wenn sie damals auf ihre restliche Familie gehört hätte und in Australien geblieben wäre, wäre das alles nicht passiert und Anita wäre noch am Leben. Er wurde daraufhin stark herzkrank und verstarb relativ schnell nach Anitas Tod.
Für Maria war die einzige Möglichkeit damit klarzukommen, von vorne anzufangen und genau an dieser Stelle Anitas Bungalow aufzubauen. Eiscreme verkauft sie auch heute noch.
Lange Jahre konnte sie über diese Geschehnisse mit keinem sprechen, aber seit einem Jahr tut sie dies manchmal und merkt, dass es ihr gut tut.
Häufig sitzt sie mit Tränen in den Augen am Meer und sie sagt, das Schwierigste in ihrem Leben sei es, sich selbst zu motivieren und die Fröhlichkeit, die Samoa so ausmacht, wiederzugewinnen.
Am Ende der Geschichte saßen wir drei schweigend und betroffen mit Tränen in den Augen voreinander und waren schließlich erleichtert, als uns Emmalie in die Gegenwart zurück holte und ins ruhige paradiesische Meer zum Schwimmen wollte.


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